Was bedeutet Antifa heute?
Redebeitrag gehalten von alea am 25. Mai 2025 auf der Kundgebung Re:organsiert die Antifaschistische Aktion
Liebe Genoss:innen,
wir möchten die Kundgebung heute nutzen, um ein Thema zu besprechen, was sicherlich viele umtreibt in Anbetracht der gesellschaftlichen Entwicklungen: in Anbetracht der Tatsache, dass die alten Machtgefüge in der Welt sich verändern, in Anbetracht der Tatsache, dass die westlichen Demokratien instabil sind wie wohl seit Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr, und für uns als Antifaschist:innen insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass faschistische Kräfte überall erstarkt sind, und auch in Deutschland mit der AfD eine faschistische Partei nach aktuellen Umfragen zweitstärkste Kraft knapp hinter der CDU ist. Die Frage, die sich in Anbetracht all dessen stellt, ist: Was bedeutet Antifa heute? Welche Aufgaben stellen sich im Kampf gegen den Faschismus? Was können wir tun, um uns dem Faschismus entgegenzustellen?
Zuerst einmal: Schon immer teilt sich die antifaschistische Arbeit in zwei große Bereiche auf: der Kampf gegen die Faschisten immer da, wo das staatliche Gewaltmonopol sie nicht in Schach halten kann, und zum anderen da, wo sie politisch an Boden gewinnen.
Am ersten Kampf hat sich nichts geändert. Da, wo sie auftreten und ihre Angriffe durchführen, bleibt es dabei: Wir stellen uns ihnen entgegen, wenn wir können. Und machen wir uns hier keine Illusionen: Die Zeiten, in denen wir dies mit Vielen getan haben, sind vorbei, und so viele sind wir in diesem Kampf sowieso nie gewesen. Wir stehen hier heute auf verlorenem Posten; es haben sich viele faschistische und gewalttätige Strukturen herausgebildet, und ihr gesellschaftlicher Rückhalt ist stark wie nie, und zugleich sind unsere Strukturen nicht stärker geworden. Sie sind schwächer geworden. Allein durch radikalen Gestus oder durch Repräsentieren eines reinen Bildes, allein dadurch, dass wir appellieren, dass sich jene, die sich zurückgezogen haben, wieder zeigen, oder dadurch, dass wir versuchen, stärker zu mobilisieren, wird es nicht gehen. Sondern: Damit wir nicht die Letzten, sondern vielmehr die Ersten sind, müssen wir es sein, die das machen, was niemand mehr machen will. Und zwar bevor die anderen zurückkommen und bevor die Neuen dazukommen. Wenn wir das nicht tun, dann heißt es: Entweder warten auf die Avantgarde, oder sich selbst als Avantgarde verstehen, als Führungstrupp, der sich selbst nie die Hände schmutzig machen muss, aber gern dabei ist, wenn es darum geht, andere dazu zu bringen, und selbst auf dem Feldherrenhügel irgendwelche Strategiediskussionen zu führen. Und noch etwas ist dazu zu sagen: Wir befinden uns nicht in einer Offensive und wir können auch keine Offensive einfach erzeugen, weil wir es wollen. Eine Offensivsituation ist das Ergebnis anhaltender und nachhaltiger Aktivität, und wer die Offensive haben will, der muss sich dem anschließen, was wir derzeit erleben: einer Defensive, mit allem kläglichen Gefühl, das damit zusammenhängt. Der praktische Antifaschismus der letzten 25 Jahre lebte für viele gerade davon, dass er eine positive, offensive und aktive Identität stiften konnte. Das kann er jetzt nicht mehr; es ist zentral, sich von diesem alten und schon immer bigotten Bild zu lösen und der Ernsthaftigkeit der Lage ins Auge zu schauen. Für viele war Antifa eher cool und hipp, man wollte dabei sein, anstatt die Sache ernsthaft selbst zu betreiben. All diese Leute sind dabei, sich zurückzuziehen und sich zu verstecken. Aber es ist kein Weg, die daraus resultierende Einsamkeit aufheben zu wollen, indem man das alte Bild, das nicht mehr passt, erneut darüberlegt.
Am zweiten Kampf, also dem politischen Kampf gegen den Faschismus, hat sich etwas geändert. Denn es ist so: Waren früher im Grunde alle staatlichen Akteure sowie weite Teile der Gesellschaft der Meinung, es gäbe gar keine politische Bedrohung durch den Faschismus mehr, und war es eine unserer Aufgaben als Antifaschist:innen das Wissen um die Gefahr und die Bedrohung wachzuhalten, so ist es nun so, dass der Staat und seine Institutionen selbst gegen den politischen Faschismus kämpfen und auch kämpfen müssen, denn sie erkennen selbst die Gefahr. Und das gilt auch für die Gesellschaft, die sich an großen Mobilisierungen gegen den Faschismus beteiligt. Niemandem mehr muss vermittelt werden, dass dieser Kampf wichtig ist. Mahnen und Aufmerksam machen ist vorbei. Es kann im politischen Kampf gegen den Faschismus nicht darum gehen, mit den Akteuren der Gesellschaft und des Staates in Konkurrenz zu treten, darum, wer hier die Nase vorn hat. Und es kann auch nicht darum gehen, sich ihnen ähnlich zu machen, um ein Bündnis zu schließen. Sobald wir mehr zu sagen haben, als dass wir die AfD scheiße finden, werden wir als diejenigen erkannt, die wir sind, und als diese werden wir, insbesondere wenn wir versuchen, uns zu tarnen, abgesondert bleiben.
Vielmehr müssen wir uns demgegenüber in unseren Inhalten selbst abgrenzen, und zwar nicht, um damit das Gefühl zu stimulieren, wir seien etwas Besonderes, sondern weil unser Verständnis vom Faschismus und seinen Ursachen tiefer geht, als es bei denen der Fall ist, die gerade so verzweifelt und hilflos ihren Kampf dagegen aufgenommen haben. Doch ist dieses „weil“ auch ein „nur wenn“, denn wir haben auf der politischen Bühne nur dann einen Grund, uns von den anderen abzusondern, wenn unsere Inhalte tatsächlich mehr Erklärungskraft besitzen als die des Rests der Gesellschaft. Wenn sie das nicht tun, dann sind wir nicht different, sondern bloß auf peinliche Weise identitär aufgeladen. Unsere Abgrenzung ist dann Ausdruck eines narzisstischen Wunsches, als so besonders wahrgenommen zu werden, wie wir uns selber fühlen, ohne dass es aber einen besonderen Grund dafür gäbe.
In diesem Punkt macht es gar keinen Sinn, sich falsch zu schonen: Weite Teile der linksradikalen antifaschistischen Bewegung besitzen einen solchen kritischen Inhalt nicht. Das Radikale ist nur ein oberflächlich Radikales. Es ist vielmehr damit assoziiert, wie man sich kleidet, wie man spricht und was man isst, als damit, was man denkt. Wenn sich hieran nichts ändert, dann gibt es gar keinen linksradikalen politischen Antifaschismus.
Viel wird sich gewundert und geärgert darüber, dass die neokommunistischen Gruppen so viel Zulauf haben, mit ihrem angestaubten und autoritären Marxismus-Leninismus. Aber was soll denn alles Lamenti? Was haben wir dem entgegenzusetzen? Wo sind unsere politischen Positionen, die sich wirklich abheben von dem, was Grüne, Linkspartei und selbst Teile von SPD und CDU auch von sich geben? Was man den Rotgruppen bei all ihrer Lächerlichkeit zugutehalten muss, ist doch gerade das, dass sie sich um eine radikale Abgrenzung zumindest bemühen. Dass sie dabei erfolglos bleiben und im Grunde das falsche Bestehende stärker vermitteln, als dass sie dagegen vorgehen können, liegt an den unreflektierten Problemen der leninschen Dialektik, dem Fortwesen stillgestellter Widersprüche und dem Ausschalten eines kritischen Denkens, weniger aber daran, dass sie autoritär sind, worauf Antiautoritäre gerne ausweichen. Das, was aktuell unter anarchistischem Label auf die Bühne tritt, ist demgegenüber so kümmerlich, dass es die Erwähnung schon fast nicht wert ist. Die inhaltlichen Mängel und Leerstellen sind oft noch eklatanter als es bei den neokommunistischen Gruppen der Fall ist. Sie sind oft nicht vielmehr als eine romantische bürgerliche Schwärmerei, und dies wird umso heftiger verdrängt, wie es wahr ist.
Um es kurz zu machen: Alle glauben, dass sie das Wissen und die politischen Kenntnisse schon besitzen, um den Faschismus politisch zu stellen. Und dies ist der zentrale Irrtum, der die politische Bedeutungslosigkeit des linksradikalen Antifaschismus ausmacht. Immer nur das, was ohnehin schon alle wissen und trotzdem alle immer wieder hören wollen, immer wieder zu sagen, ist kein wesentlicher politischer Inhalt, es ist vielmehr das, wogegen sich aufgelehnt werden muss.
Wir haben mobilisiert unter dem Motto „Re:organisiert die Antifaschistische Aktion“. Und dies ist ganz im Wortsinne gemeint. Es geht darum, dass wir wieder mehr Verbindungen untereinander aufbauen. Aber keine leeren Verbindungen, die um die Frage kreisen: „Wer kennt wen, wer ist wichtig, wer wird von wem ernstgenommen und angesprochen?“, also kurz: keine identitätsorientierten Verbindungen, sondern bedeutsame Verbindungen. Diese entstehen aber nur, wenn auch Bedeutsames getan wird, wenn also diese Verbindungen nicht um sich selbst kreisen, sondern darum, praktische und inhaltliche Fortschritte zu machen. Worin diese Fortschritte heute bestehen, haben wir versucht deutlich zu machen.
Die Re:organisation bezieht sich aber nicht nur auf das Verhältnis von uns zueinander, sondern auch auf unser internes Selbstverhältnis. Wir müssen uns selbst anders aufstellen, um uns mit dem, was ist, und dem, was kommt, konfrontieren zu können. Wir müssen begreifen, dass die Inhalte, wie sie derzeit die linksradikalen Strukturen dominieren, zu Ketten geworden sind, die uns an das Bestehende halten, anstatt uns davon loszubringen. Wenn dies so bleibt, werden wir mit unserer antifaschistischen Theorie und Praxis niemals von der Stelle kommen, und dann wird der Faschismus irgendwann siegen.
In diesem Sinne:
Her zu uns!
Re:organisiert die Antifaschistische Aktion!
Tod dem Faschismus!