Solltest Du nach Leipzig ziehen?

Re:organisiert die Antifaschistische Aktion!

Die linke Hochburg Leipzig hat nach wie vor Anziehungspotenzial für viele, vor allem junge Menschen. Sie kommen meist zum Studieren in die Stadt, wenn sie nicht hier geboren worden sind, und treffen auf ein breites Angebot (sub‑)kultureller Bespaßungsmöglichkeiten. Leipzig ist hipp und für ostdeutsche Verhältnisse ist Leipzig tatsächlich eine kleine Insel – zumindest, wenn man Leipzig reduziert auf seinen Osten, Süden und Westen. Wenn damit auch formal dreiviertel aller Himmelsrichtungen abgedeckt sind: die “linke Hochburg” bilden faktisch nur die Stadtbezirke unweit der Innenstadt, die sich in den 1990ern durch massiven Leerstand und Verfall auszeichneten. Doch was der Platzhalter der linken Hochburg bedeuten soll, bleibt, wie es für griffige Slogans üblich ist, im Dunkeln. Der Attraktivität Leipzigs für Linke tut dies allerdings keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Gerade die inhaltliche Leere erzeugt im Denken jener, die es hertreibt, ein Wir-Gefühl, einen Sehnsuchtsort und eine Identifikationsfläche. Diese Identifikation heftet sich dabei vor allem an die Bilder von Krawall, Szenepartys und Cornern und an den punkigen Look der Stadt; also an das Bedürfnis einer erwachsen gewordenen kindlichen Sehnsucht nach einer Stütze für den subjektiven Sprung aus der Familie. Für manche ist diese der Hort des Schreckens und für manche in dieser Form der Ausgangspunkt für die eigene bürgerliche Karriere.   

Doch die radikale Linke in Leipzig hat ein Problem. Damit sind nicht die Probleme der vielen linken Räume gemeint, für die die wenigsten Verantwortung übernehmen wollen; auch nicht das Fehlen der Handlungsfähigkeit, wie es unentwegt für schlechte Texte in Tastaturen geprügelt wird. Das Problem ist vielmehr das chronische Wiederholen davon, dass man diese Handlungsfähigkeit doch nun endlich mal erzeugen müsse und der Irrglaube, dass man dazu auch qua des eigenen Wunsches in der Lage sei. Wie dies vonstattengehen soll, ist den diversen Verfasser:innen der Handlungsfähigkeits-Phrase immer schon bekannt. Ihre Ansicht verteidigen sie gegen die der jeweils anderen. Die Konflikte reichen dabei von Palästina/Israel, postmoderner/materialistischer Feminismus, Impfen+Masken/Freiheit, autoritär/antiautoritär bis hin zur Debatte um das Verhältnis von Theorie und Praxis sowie das vermeintlich richtige Maß von Militanz. All diese Konflikte werden natürlich auch in Leipzig ausgetragen und ohne Pause wird über einen der vielen Social-Media-Accounts auch schon die eigene bedeutende Sicht auf die Dinge in den Gossipsumpf der hiesigen Linken gespuckt. Mal wird sich geschlagen, mal sich nur medienwirksam zu Boden geschmissen, sich selber präsentiert man dabei immer als differenziert und bereit für einen Austausch von Argumenten, aber das Gegenüber, das gern auch als faschistisch beschimpft wird, verstelle sich in seinem Wahn jedweder Kommunikation. Dies – so könnte man fast meinen – zum Glück aller! Denn aus den Verlautbarungen lässt sich wenig ziehen: weder Hoffnung, die sie wohl verbreiten sollen, noch die ersehnte Handlungsfähigkeit und schon gar nicht so etwas wie eine radikale Kritik. 

Die gähnende Leere

Genau hierin liegt die aktuelle Schwäche der radikalen Linken in Leipzig – und weit darüber hinaus. Das Ausbleiben von Debatten bleibt ungehört im Getöse der hiesigen Marktschreier:innen. Alle wollen ihre zur Ware herabgesunkene Sicht der Dinge an die Leute bringen. Was diese Waren voneinander unterscheidet, ist dabei relativ beliebig, kaum zu unterscheiden von dem, was die bürgerliche Gesellschaft durch Kulturindustrie und Integration sich selbst schon zum Ziel setzt und was der akademische Betrieb am laufenden Band aufwärmt und verührt. Einig ist man sich in der Linken, dass es keinen Verlass auf die bürgerliche Gesellschaft gibt, ohne, dass bemerkt wird, wie gering die hochgehaltene Differenz tatsächlich ist.  

Was Leipzig allerdings auszeichnet, ist vor allem für Ostdeutsche ein Versprechen, der alltäglichen neofaschistischen Gewalt zu entkommen. Die Stadt hat eine lange Antifa-Geschichte. Dies nicht, weil Antifa im Osten angesagt ist, sondern ganz einfach aus dem Grund, dass sie notwendig war und bis heute ist. Der Zuzug und das daraus folgende Wachstum der Stadt erzeugten die Gentrifizierung und somit an einigen Orten ein wohliges Gefühl von Szenekiez, wie es zuvor wohl vor allem westdeutsche Genoss:innen kannten. Man vergisst beinahe, dass man im Osten wohnt. Wäre dies nicht schon lahm genug, gesellen sich seit einigen Jahren nun diverse Ableger westdeutscher neokommunistischer Kaderorganisationen dazu. Diese betreiben ihre belanglose Politik kontinuierlich und entfalten dadurch ein immer größeres Mobilisierungspotenzial. Mit radikalen Gestus verfolgen sie das Ziel einer am Leninismus orientierten proletarischen Weltrevolution. Ihnen dient der Kampf gegen den Faschismus vor allem als Rekrutierungsmöglichkeit für ihren Traum von kommunistischer Partei und Arbeitermacht. Durch offene Ladenflächen und hürdearme Einstiegsangebote erfüllen sie das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und versprechen eine Überwindung der gesellschaftlichen Vereinzelung. Feste Strukturen und verbindliche Verantwortungsübernahme werden gefordert, von oben strukturiert und treffen dabei einen wunden Punkt der bürgerlichen Gesellschaft in ihrem Verfallszustand: das Ausbleiben von Verantwortungsübernahme. Das ist es, woran die bürgerliche Gesellschaft aktuell laboriert: Dass die bürgerliche Klasse immer weniger bereit ist, Verantwortung für ihre eigene Gesellschaft zu übernehmen. Das Bürgertum bleibt versteinert in seinem unentwegten Drang, das Richtige zu tun. 

Doch ist diese gesellschaftliche Ohnmacht kein psychologisches Problem der Einzelnen, wenngleich sie in der Psyche aller ihren Niederschlag findet. Sie ist Produkt einer durch die Wertform bestimmten Gesellschaft, die in ihrer rastlosen Wiederholung alles gleichmachend unter dem Wert subsumiert. Sie findet ihren Ausdruck in der Geldform, reduziert auf ihre Konsumerabilität und Verwertbarkeit. Dabei widerspricht sie dem Selbstbild des bürgerlichen Bewusstseins, welches sich auf die Entfaltung von Individualität und eines autonom agierenden Subjekts bezieht. Doch werden die Subjekte der Gesellschaft zu Objekten des gesellschaftlichen Prozesses, welcher sich hinter ihrem Rücken vollzieht. Dieser Widerspruch ist konstitutiv für die bürgerliche Gesellschaft und Bedingung ihres Scheiterns. Die Einzelnen werden lediglich formal fähig zur Entfaltung, doch drückt sich diese nur aus in der resignierten Wahl verschiedener vorgefertiger Persönlichkeitstypen. Darin unterscheidet sich auch die Linke nicht: Sie bietet alles von phlegmatischen Umweltschützer:innen, den militanten Choleriker:innen, den einfühlsamen Aware-Sanguiniker:innen bis zu organisierten Melancholiker:innen. Die Wahl der Organisationsweise wird eher durch diese Formen bestimmt als durch inhaltlich begründete oder (erst in der Folge vernünftig führbare) strategisch durchdachte Entscheidungen. 

Die fehlende Bewegung

All dies ist nichts Neues. Neu sind – wenigstens in Leipzig – vor allem die Neokommunist:innen und ihre Mobilisierungserfolge, um welche die anderen linken Gruppen sie beneiden. Auch man selber wäre gerne jemand, weiß es ohnehin besser und erdenkt sich vielerlei Gründe für das Ausbleiben der eigenen Erfolge; das allerdings taugt selten zur Klärung des Gegenstands, sondern höchsten dazu, sich selbstzufrieden zurückzuziehen in interne theoretische Auseinandersetzungen, welche am Ende auch immer nur das Gleiche produzieren. Die Feindschaft gegen die „Autoritären” wird zum Selbstzweck der eigenen Politik und Lebensgestaltung. Das eigene Denken wird dem Erzeugen einer großen gesellschaftlichen Bewegung untergeordnet und bleibt gerade deshalb unbeweglich. Solche Politik zielt auf Wachstum der Organisation ab, in der Hoffnung, dass Quantität in der Folge den herbeigesehnten und selbst gar nicht geleisteten qualitativen Sprung erzeuge. 

Die Strategie der Neokommunist:innen verläuft in Leipzig gerade nicht in Richtung dieser „alten“ Szene. Mit ihrer Politik zielen sie zwar auf Adressat:innen mit einem linken Selbstverständnis, allerdings nicht auf die Leipziger Szene als solche. Sie wollen kein Teil dieser Szene sein, sondern stattdessen das Zentrum der Linken selbst neu bilden. Dafür wollen sie möglichst hohe, durch Feindbilder erzeugte Potenz ausstrahlen. Sie orientieren sich – und hierbei ähneln sie dem Rest der Linken in Leipzig – mit ihren anachronistischen Inhalten an einem imaginierten Bild der eigenen Bedeutsamkeit. 

Zuvor war die Leipziger Szene geprägt durch undogmatisch organisierte autonome Zusammenhänge. Unter jenen entwickelte sich in ihrer beweglichsten Zeit hin und wieder noch eine Debatte, oft mit Bezug zu einer praktischen Antifa-Politik in der Stadt (und des Umlands), aber auch orientiert an spontanen Ereignissen. Die Gesellschaft sollte durch den Riot erschreckt und aufgeschreckt werden, und der linke Randalemeister Leipzig erzeugte seine eigenen kleinen Mythen. 
Doch vergebens war die Anstrengung: Die Gesellschaft lässt – jetzt auch ohne Zutun der radikalen Linken – ihre erstarrte Maske immer weiter fallen. Der Schreck vor dem, was sich täglich abspielt, ergreift eine immer größer werdende Anzahl der bürgerlichen Teile der Gesellschaft. Die aktuellen Ereignisse scheinen dabei selbst der Regierbarkeit zu entgleiten. 

Im hippen Leipzig wird sich erholt beim Rave, in der geselligen Kneipe oder am Eck. Somit war auch für die linke Szene die durch die Corona-Pandemie produzierte Isolation eine Erfahrung, in welcher die Weitergabe antiautoritärer Szenedoktrin und identitätsbasierter Zugehörigkeit in die nächste Generation unterbrochen wurde. In diesen Bruch stießen die Neokommunist:innen. Anfangs noch halbverdeckt und mittlerweile ganz offen. Sie versuchen dabei teilweise an die „Leipziger Mythen“ anzudocken und sich als deren Ursache zu behaupten. Nicht zuletzt mit dem Ziel, die „Antideutsche-Hochburg“ zu kapern. Der 7. Oktober gab ihnen dabei weiteren Aufwind. Sie konnten sich einer bundesdeutschen und nur bedingt linken Palästina-Solidaritäts-Bewegung anschließen und damit ein medial präsentes Thema in Deutschland bespielen. Dabei zielen sie darauf, den  Protest für ihren Traum der Schaffung einer kommunistischen Partei nutzen zu können und an Potenz und Strahlkraft zu gewinnen. Soweit, so hoffnungslos: Ihre veraltete Klassenkampfrethorik bleibt dabei ein verrostetes Werkzeug und braucht deswegen leicht greifbare Kanten, die sie sowohl nach außen als auch nach innen produzieren. Ihr vereinfachtes Denken der Gruppenzugehörigkeit muss permanent Feinderklärungen erzeugen.

Die scheiternde Linke

Auch wenn die damit immer wieder einhergehenden antisemitischen Ausbrüche weitaus grässlicher sind, als der antinationale Wohlfühl-Gestus, gibt es keinen substanziellen Unterschied zwischen Beiden. Im Geschrei nach Handlungsfähigkeit wiederholt sich ganz einfach das bürgerliche Bewusstsein der radikalen Linken. Anstatt die Einsicht in die bedeutungs- und hoffnungslose Lage als Ausgangspunkt der eigenen Kritik aufzunehmen, meint sie, schon die richtigen Antworten gefunden zu haben: Mietkampf, Feminismus und Arbeitermacht sind gerade die großen geistigen Sprünge der Leipziger Linken. Der Niederschlag des gesellschaftlichen Widerspruchs im Bewusstsein der radikalen Linken wird als äußeres Phänomen einfach beiseitegeschoben. Es wird davon ausgegangen, dass der Bewegung bereits alles zur Verfügung stünde, nur wollen die Anderen nicht so recht mitmachen. Was folgt, sind Appelle, welche auf Affekte wie Angst oder Wut zielen, um die anderen zu versammeln. Damit einher geht die Reduzierung linker Politik auf die Vermarktung ihrer überholten Theorien. In Abgrenzung zur bürgerlichen Gesellschaft benötigt es gerade wegen des Ausbleibens einer radikalen Kritik diesen einen Kitt. Denn die Anhängerschaft erzeugt sich gerade nicht aus Erkenntnis, nicht aus Einsicht in die Notwendigkeit und nicht einmal aus Affinität, sondern schlicht und ergreifend aus dem illusorischen Identitätsangebot, ein besserer Mensch zu sein. Dafür herhalten müssen im Team Wohlfühl-Gestus dann die Beziehungen und das Sozialverhalten aller, an dem zugleich, wie es passt, herumkritisiert werden darf. Die Antiautoritären wünschen sich dabei dieses oder jenes, um Enttäuschungen zu vermeiden und niemanden zu verletzen, wie es die antiautoritäre Erziehung vorgibt. 
Anstatt sich aber der Enttäuschungen bewusst zu werden, die aus dem gescheiterten Glattbügeln der gesellschaftlichen Widersprüche resultieren, wird versucht, sich dieser durch Sozialverhalten zu entledigen. Stattdessen täte die Reflexion der Täuschungen über die eigene Bedeutungslosigkeit gut. Man möge kein Arschloch sein, gewiss – der produzierte Anpassungsdruck aber ist nur oberflächlich weniger autoritär als die offen ausgesprochene Forderung zur Unterordnung in der Kaderstruktur.

Dabei bleibt die radikale Linke scheinbar ganz nebenbei ihrer wachsenden Bedeutungslosigkeit ausgesetzt. Ihre versprochene Handlungsfähigkeit – die ihre Anhänger:innen erst versammelte – scheitert, wie zuvor die Einzelnen, an den tatsächlichen Verhältnissen. Doch lässt sich die radikale Linke auch davon nicht beirren, jedenfalls so lange nicht, wie sie noch andere bedeutungslose Linke findet, auf die sie einschlagen kann. Immer im besten Wissen um die eigene Feindschaft gegen das bürgerliche Schweinesystem. Sie verkennt, dass die aktuelle faschistische Bedrohung ein Ausdruck und Abkömmling des Verfalls dieser bürgerlichen Gesellschaft ist und sich bereit macht, ihr Totengräber zu werden; dass die Feindschaft sich also bald offen gegen sie zu richten droht und dies gerade umso mehr, je schwächer sie ist. Es wäre dann keine imaginierte Feindschaft (aus dem Szenekiez), sondern eine faktische Gefahr für Leib und Leben.

Westdeutschland ist auch keine Lösung. 
Tod dem Faschismus! Her zu uns!

(Aber bitte nicht alle nach Leipzig)


alea • antifaschistisch & autonom
Leipzig, Mai 2025
alea-le.org